Definitive Antworten auf die gestellten Fragen kann niemand geben, denn niemand war dabei, als sich die ersten lebenden Systeme organisierten und die Fähigkeit zur Vermehrung erwarben; als Zellen entstanden, und sich bestimmte Zellen zu Vorläufern pflanzlicher Zellen entwickelten. Wir können aber diese Fragen in eine Vielzahl von Einzelfragen untergliedern, auf die wir durch gezielte Experimente und die Untersuchung von Eigenschaften rezenter Organismen Antworten geben können.
Unter bestimmten Bedingungen kann man nämlich aufgrund physikochemischer Gesetzmäßigkeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit das Eintreffen von Folgeerscheinungen vorhersagen.
Bevor man sich über die Evolution komplexer Systeme (z.B. der Zellen) Gedanken macht, muß man sich mit der Evolution der sie aufbauenden Teilsysteme befassen. Dabei kann als bekannt gelten, daß Makromoleküle Leistungen vollbringen, zu denen kleine Moleküle nicht befähigt sind. Das wiederum impliziert die Frage, wie Makromoleküle im Verlauf der Erdgeschichte entstanden sind und was zu einer Akkumulation wertvoller Eigenschaften geführt hat.
Physiker und Geologen geben das Alter der Erde mit etwa 4,5-5 Milliarden Jahren an. Alles, was wir unter Evolution der Organismen verstehen, muß sich innerhalb dieses Zeitraums abgespielt haben, es sei denn, man nimmt an, Vorstufen lebender Systeme seien anderswo entstanden und aus dem Weltall auf die Erde gelangt. Über diese Annahme ist viel spekuliert worden; es gibt aber nicht einen einzigen beweiskräftigen Hinweis darauf, daß ein solches Ereignis tatsächlich stattfand. Es ist daher naheliegender, sich zu überlegen, ob Leben auf der Erde entstanden sein kann.
Während des Präkambriums war die Erde - nach Abkühlung und Bildung einer festen Erdkruste - von einer reduzierenden Atmosphäre umgeben, die im wesentlichen Ammoniak, Methan, Wasserstoff, Wasserdampf , später vermutlich auch Kohlendioxyd und Kohlenmonoxyd sowie Stickstoff enthielt. In Spuren kamen sicherlich verschiedene weitere Gase, wie Schwefelwasserstoff und Stickoxyde vor. Man nimmt an, daß sich der ursprünglich sehr hohe Wasserstoffanteil sehr früh durch Verflüchtigung ins Weltall reduziert hat.
Kontinentaldrift (Kontinentalverschiebungen): Entwicklung der Erdkruste im Verlauf der Erdgeschichte.
Die Zahlenangaben (in Millionen Jahren) entsprechen der Zeitachse. Der Urkontinent ist die Pangaea
zusammengestellt aus Vorlagen von:
Christopher R. SCOTESE -
PALEOMAP Project
U. Texas at Arlington
© University of California - Museum of Paleontology,
Die UV-Einstrahlung muß sehr hoch gewesen sein, da es noch keine Ozonschicht gegeben hat. Mit weiterer Abkühlung setzte eine Kondensation von Wasserdampf, und damit die Ausbildung erster Gewässer ein. Man kann sich nun fragen, ob unter diesen Bedingungen kleine organische Moleküle, wie Alkohole, organische Säuren usw., entstanden sein können.
Die Frage ist experimentell überprüfbar. Experimente hierzu (Simulationsexperimente) wurden in den fünfziger Jahren im Laboratorium von H. C. UREY seinerzeit University of Chicago) durchgeführt. Eine der Versuchsanordnungen, die UREYs Mitarbeiter S. L. MILLER konstruierte, ist oben wiedergegeben.
Es handelt sich um ein geschlossenes Reaktionssystem (s. Bild oben), das mit den genannten Gasen in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen und Konzentrationen gefüllt werden konnte und dem Energie entweder durch Erwärmung, elektrische Entladungen, hohen Druck oder Bestrahlung mit ultraviolettem Licht zugeführt wurde.
Nach Reaktionszeiten von jeweils einigen Tagen oder Wochen konnte MILLER eine Vielzahl organischer Moleküle nachweisen. Formaldehyd, Cyanid, Carbodiimid, organische Säuren, Aminosäuren und viele andere gehörten dazu. Je nach Wahl der Versuchsbedingungen entstand ein Spektrum anderer Verbindungen.
Ein Teil der aufgeführten Produkte ist selbst hoch reaktiv. So konnte L. E. ORGEL (The Salk Institute of Biological Studies, La Jolla/San Diego) zeigen, daß Cyanide unter abiotischen Bedingungen nach UV-Bestrahlung zu Purinen, wie Adenin und Guanin, kondensieren können. Darüber hinaus zeigte sich, daß sich Aminogruppen in Kohlenwasserstoffverbindungen (z.B. organische Säuren) einführen lassen, was zur Bildung zahlreicher weiterer Aminosäuren führt.
Zucker, und zwar sowohl Pentosen als auch Hexosen, entstehen durch UV-Bestrahlung von Formaldehyd; langkettige Kohlenwasserstoffe aus Methan, wobei elektrische Entladungen oder ionisierende Strahlung als Energiequellen dienen. Unter gleichen Bedingungen kann Kohlendioxyd angelagert werden, wodurch langkettige Fettsäuren zustande kommen.
Diese und ähnliche Simulationsversuche verdeutlichen, daß unter abiotischen Bedingungen im Prinzip alle kleinen Moleküle entstehen können, die wir als Bestandteile von Zellen oder als Ausgangsstoffe von Biosynthesewegen benötigen. Damit stellt sich die Folgefrage: Können unter abiotischen Bedingungen auch Makromoleküle entstehen?
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