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Phänotypische Variabilität - Genetische Variabilität: Ökologische Rassen


KERNERs Versuche machten deutlich, daß die Außenwelt einen Anstoß zur Ausbildung bestimmter Phänotypen gibt. Es gibt daher innerhalb einer Art unterschiedliche Phänotypen mit gleichem Genotyp. Um das Problem der Artneubildung anzugehen, benötigt man jedoch unterschiedliche Genotypen und Methoden, um deren Variabilität zu erfassen. Entscheidendes ist bereits in DARWINs Werken ausgesprochen. Seine Analyse der Kulturpflanzenentstehung z.B. belegt, daß innerhalb einer Art voneinander verschiedene, stabile Varietäten (Sorten) vorkommen.

Den Beweis der Existenz solcher Varietäten bei wild wachsenden Arten in Anpassung an ihre Umwelt und die Selektion bestimmter Genotypen (ökologischer Rassen) durch Standortfaktoren wurde zwischen 1920 und 1930 von dem schwedischen Botaniker G. TURESSON (1892-1970) erbracht. Er fand, daß bei einer Anzahl von Arten unterschiedliche Standorte von verschiedenen Genotypen besiedelt waren.

Hierzu ein Beispiel: An der Westküste Schwedens wies er zwei ökologische Rassen von Hieracium umbellatum nach (1922). Die erste fand sich an Felsküsten. Die Pflanzen waren buschig gebaut, die Blätter waren breit, die Infloreszenzen ausladend. Die zweite besiedelte Sanddünen. Die Pflanzen waren im Wuchs kümmerlich, die Blätter schmal und die Infloreszenzen klein. Entlang der Küste sind beide Rassen, ebenso wie das Vorkommen von Felsküste und Dünen, alternierend anzutreffen.Unter konstanten Versuchsfeldbedingungen behielten die Pflanzen ihr standortspezifisches Aussehen. Wurden jedoch Exemplare von einem Standort (Lebensraum) in einen anderen verpflanzt, nahmen sie die standortspezifische (lebensraumspezifische) Gestalt an. Diese Versuche besagen, daß in den einzelnen Lebensräumen unterschiedliche Genotypen selektiert werden, daß aber das Genom der Pflanzen darüber hinaus plastisch genug ist, um durch Modifikation Phänotypen hervorzubringen, die an die jeweiligen Bedingungen optimal angepaßt sind.

Weitere Belege für das Vorkommen und die Stabilität ökologischer Rassen wurden in den dreißiger und vierziger Jahren durch J. CLAUSEN, D. D. KECK und W. M. HIESEY (University of California, Berkeley) zusammengetragen. Die perennierende Schafgarbenart Achillea lanulosa (der Achillea millefolium-Gruppe zugehörig) ist im Westen der USA weit verbreitet. Legt man einen Schnitt durch das Sierra-Nevada-Gebirge, fällt auf, daß sich die Pflanzen an den einzelnen Standorten in ihrer Wuchsform (Höhe der Pflanzen, Textur der Blätter, Zahl der Blütenkörbchen, Anzahl der Einzelblüten) signifikant voneinander unterscheiden.

Es besteht eine enge Korrelation zwischen Merkmalsausprägung und Standortbedingungen. Daraus wiederum ist zu schließen, daß jede Merkmalsausprägung einen hohen adaptiven Wert hat. Achillea lanulosa ist vegetativ vermehrbar. CLAUSEN und Mitarbeiter haben Teile von Pflanzen der verschiedenen Standorte gesammelt und sie in einer Anzahl von Parallelanzuchten unter kontrollierten aber unterschiedlichen Bedingungen vermehrt. Die Versuche ergaben, daß die einzelnen ökologischen Rassen (Genotypen) unter jenen Bedingungen am besten gediehen, die denen des natürlichen Standorts am nächsten kamen. Das heißt, daß die Art Achillea lanulosa (wie auch alle anderen untersuchten Arten) aus einer Vielzahl von Genotypen besteht, von denen jeder den Lebensraum besiedelt, an den er optimal angepaßt ist.

Die Zusammenfassung der Beobachtungen und Experimente zeigt, daß bei weit verbreiteiteten Arten die ökologischen Anpassungen der Populationen in Abhängigkeit von Umweltfaktoren in den einzelnen Teilen des Areals der Art kontinuierlich variieren. Eine solche kontinuierliche geographisch gerichtete ("klinale") Variation ist vom Zustand zahlreicher Gene abhängig. Für Potentilla glandulosa z.B. ließ sich abschätzen, daß die umweltabhängigen physiologischen und morphologischen Unterschiede unter der Kontrolle von weit über 100 Genen stehen (J. CLAUSEN, 1951).

Neben Standortfaktoren spielt die Jahreszeit bei der Selektion optimal angepaßter Rassen eine entscheidende Rolle. Die in Kalifornien verbreitete Composite Madia elegans blüht im Frühjahr (März bis Mai) und im Herbst (ab August). Die Frühjahrsblüher entwickeln sich sehr rasch im Anschluß an die Winterregen. Die Sprosse bleiben relativ klein. Die Herbstblüher zeichnen sich durch umfangreiches Wurzelwerk (trockener Boden !), die Ausbildung einer dichten Blattrosette und relativ große Sprosse aus. Diese Merkmale bleiben auch dann erhalten, wenn die Pflanzen (und deren Nachkommenschaft) unter standardisierten Versuchsbedingungen in Kultur genommen werden.

Ökologische Variation läßt sich auch in der Ausstattung der Pflanzen mit sekundären Stoffwechselprodukten erkennen. Das Vorkommen bestimmter Glykoside in Trifolium repens in Europa ist streng mit der 0 Grad C - Januar-Isotherme korreliert.

Ähnliche Unterschiede treten bei anderen Leguminosen-Arten auf. Glykoside (Cyanid-Derivate) dienen dem Schutz vor dem Gefressenwerden (u.a. durch Schnecken). Am Beispiel von Lotus corniculatus zeigte sich, daß die temperaturabhängige Verbreitung glykosidhaltiger Rassen mit der Verbreitung und Kälteempfindlichkeit bestimmter Schnecken zusammenhängt. Ob die Verbreitung der Freßfeinde aber die tatsächliche Ursache für die Verbreitung der Glykosidgene bei den Leguminosen ist, bleibt offen, denn eine Korrelation allein ist nicht ausreichend, um einen Kausalzusammenhang zu belegen.

Wie an anderer Stelle bereits vermerkt, ist Polymorphismus (Vielgestaltigkeit) ein charakteristisches Merkmal von Kulturpflanzen. In den USA (und im übrigen Verbreitungsgebiet) wird eine Anzahl unterschiedlich produktiver Hordeum vulgare (Gersten-)-Sorten angebaut. 1938 berichteten H. V. HARLAN und L. MARTINI über Ergebnisse einer mehrjährigen Studie, in der sie 1: 1: 1: . . . Mischungen verschiedener Sorten an mehreren Standorten in den USA unter sonst gleichen Bedingungen über mehrere Generationen hinweg kultivierten. Geerntetes Saatgut diente teils zur Wiederaussaat im folgenden Jahr teils zur Auswertung. Der relative Anteil einer jeden Sorte wurde an Stichproben von jeweils 500 Körnern bestimmt. Die Sorten waren von Anfang an so gewählt, daß man die Sortenzugehörigkeit an der Morphologie oder Farbe der Samen leicht erkennen konnte. Da Hordeum vulgare zudem ein obligater Selbstbefruchter ist, unterblieb eine mögliche Verfälschung der Ergebnisse durch Hybridenbildung. Die Ergebnisse einer typischen Auszählung sind in der o. g. Tabelle festgehalten. Aus ihr geht hervor, daß Vorteile einzelner Sorten standortspezifisch sind und daß die übrigen Sorten in einem Verdrängungswettbewerb in wenigen Jahren weitgehend eliminiert werden. Es sind demnach nicht nur physikalische Umweltparameter, die über den Erfolg und die Dominanz einer Sorte (Rasse, Varietät) entscheiden, innerartliche Konkurrenz ist ebenso wichtig.


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de