Die Genetik (Vererbungslehre) ist ein Teilgebiet der Allgemeinen Biologie. Die wichtigsten Regeln sind allgemeingültig und betreffen gleichermaßen Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen.
Die raschen Erfolge der Molekularen Genetik
in den letzten 40 Jahren beruhen zu einem überwiegenden Teil auf der
Wahl günstiger Versuchsobjekte (Bakterien, Viren). Die richtige Objektwahl
zur Lösung gegebener Probleme war schon seit den Anfängen der
empirischen Genetik ein entscheidender Faktor.
Wo immer Spuren menschlicher Kulturen (aus der Periode der quartären Eiszeit im Diluvium oder Paläolithikum) gefunden wurden, fand man stets auch Kulturpflanzen. Das Spektrum kultivierter Arten ist, verglichen mit der Zahl wildwachsender Arten, erstaunlich gering. Im euro-asiatischen Raum waren es anfangs in erster Linie Getreidearten: Emmer (Triticum dicoccum), Einkorn (Triticum monococcum), Saatweizen (Triticum aestivum), Spelz, Dinkel (Triticum spelta, sehr ähnlich T. aestivum), Hartweizen (Triticum durum), ferner Triticum dicoccoides, Triticum compactum, Triticum aegilopoides, dann Gerste (Hordeum vulgare, Hordeum spontanaeum) - und einige Leguminosen. Roggen und Hafer wurden erst wesentlich später in Kultur genommen. Auffallend ist, daß nahezu alle Arten nur einer Gattung, nämlich Triticum angehören. Selbst heute ist die Zahl kultivierter (wirtschaftlich bedeutender) Arten relativ niedrig.
Für jeden, der sich mit dem Auftreten von Kulturpflanzen befassen möchte, stellen sich zwei grundsätzliche Fragen: Wie sind die Kulturpflanzen aus den jeweiligen Wildformen entstanden? Wie wurden die neuen Formen verbreitet? Die ältesten Dokumente sind einerseits wirkliche materielle Überreste, die bei Ausgrabungen zutage gefördert wurden (von daher kennen wir auch die gerade aufgezählten Arten) andererseits bildliche und schriftliche Urkunden. Es gibt nahezu keine Hinweise darauf, allenfalls Spekulationen darüber, wie effizient die Selektionsverfahren waren, um neu entwickelte Kultursorten zu stabilisieren, sie im Ertrag zu verbessern und sie vor Fremdeinflüssen aller Art zu schützen.
Wichtige Angaben (Bild, Verbreitung, Ertrag) zu einer Vielzahl von Kulturpflanzen findet man unter
Frühe Vorstellungen über die Mechanismen einer Vererbung beruhen vermutlich auf Beobachtungen des Menschen an sich selbst. Es war offensichtlich, daß sich bestimmte Merkmale von den Eltern auf ihre Kinder übertrugen. In wohl allen frühen menschlichen Kulturen gab es, wie bei vielen Mammalia, einen hohen Grad an Inzucht. Damit verbunden war eine genetische Isolation der Teilpopulationen voneinander und so waren auch die Voraussetzungen zur Anreicherung nicht nur vorteilhafter, sondern vor allem auch ungünstiger Merkmale gegeben. Zwar glaubte man ursprünglich nicht an eine Vererbung von Mißbildungen oder auffallend negativen Merkmalen und suchte daher in religiösen Dogmen und Mythen die Ursache für ihr Auftreten.
Deshalb war die auf einer Jahrtausende währenden Erfahrung beruhende Feststellung, daß Inzucht mit mehr Nach- als Vorteilen verbunden sei, als ein entscheidender Fortschritt zu werten. Das Inzestverbot war die Konsequenz aus dieser Erkenntnis und ein erstes Beispiel für "angewandte Genetik".
Ein echtes Verstehen von Mechanismen der Vererbung setzt ein hohes Abstraktionsvermögen voraus. Erste Beiträge zu diesem Thema erschienen deshalb erst zu einem sehr späten Zeitpunkt in der Geschichte der Botanik. Unter Einbeziehung unseres heutigen Wissensstandes erkennen wir, daß sich eine Pflanzengenetik erst dann etablieren konnte, als sichergestellt war, daß auch bei den Pflanzen Sexualität existiert.
Deren Entdeckung geht auf den Tübinger Professor der Medizin und Direktor des Botanischen Gartens R. J. CAMERARIUS (1665-1721), zurück. 1694 verfaßte er seine Schrift "De sexu plantarum epistola", in der er u.a. schreibt:
"Im Pflanzenreich... vollzieht sich keine Fortpflanzung durch den Samen, diese Gabe der vollkommenen Natur und das allgemeine Mittel zur Erhaltung der Art, wenn nicht die vorher erscheinenden Staubbeutel der Blüte die Pflanze selbst dazu vorbereitet haben. Es erscheint also billig, diesen Staubbeuteln einen edleren Namen und die Funktion der männlichen Geschlechtsteile beizulegen, so daß also ihre Kapseln die Gefäße und Behälter sind, in denen der Samen selbst, jener Staub, der subtilste Bestandteil der Pflanzen ausgeschieden, gesammelt und von da aus später abgegeben wird; er gelangt nämlich an die Spitze der Pflanze, wenn er schon gehörig durchgeseiet und verfeinert ist, hier wird er secernirt und erlangt seine höchste Wirksamkeit. Wie bei den Pflanzen die Staubbeutel die Bildungsstätte des männlichen Samens sind, so entspricht der Behälter der Samen mit seiner Narbe oder seinem Griffel den weiblichen Geschlechtsteilen, denn derselbe leistet wenigstens dem jungen Keim, den er empfängt und bewacht, mütterlichen Beistand."
Die Bedeutung und die Vorteile der geschlechtlichen Fortpflanzung bei Mensch und Tier waren im 17. und 18. Jahrhundert bereits weitgehend anerkannt. Der Philosoph J. G. HERDER (1744-1803) schrieb in seinen "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (1785-1792):
"Das feinste Mittel endlich, dadurch die Natur Vielartigkeit und Bestandheit der Formen in ihren Gattungen verbindet, ist die Schöpfung und Paarung zweier Geschlechter. Wie wunderbarfein und geistig mischen sich die Züge beider Eltern in dem Angesicht und Bau ihrer Kinder. Als ob nach verschiedenen Verhältnissen ihre Seele sich in sie gegossen und die tausendfältigen Naturkräfte der Organisation sich unter dieselben verteilt hätten. Daß Krankheiten und Züge der Bildung, daß sogar Neigungen und Dispositionen sich forterben ist weltbekannt; ja oft kommen wunderbarerweise die Gestalten lange verstorbener Vorfahren aus dem Strom der Generationen wieder. Ebenso unläugbar, obgleich schwer zu erklären ist der Einfluß mütterlicher Gemüts- und Leibeszustände auf den Ungeborenen, dessen Wirkung manches traurige Beispiel lebenslang mit sich trägt."
LINNÉs Satz von der Konstanz der Arten schien einem Fortschritt auf dem Gebiet der Vererbung im Wege zu stehen. Doch schon zu seiner Zeit lagen mehrere erfolgreiche Einzelbeobachtungen über Artkreuzungen von Pflanzen vor, und auch ihm selbst gelang eine Bastardierung (Kreuzung) zwischen den beiden Bocksbartarten Tragopogon pratensis x Tragopogon porrifolius. Für diese Arbeit wurde ihm (1760) der erste Preis einer Ausschreibung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg zugesprochen. Durch den Ausgang des Versuchs angeregt, wich er von seiner ursprünglichen Haltung ab. Der Satz von der Konstanz der Arten wurde in der letzten von ihm bearbeiteten Auflage der "Systema naturae" gestrichen. Er glaubte nunmehr, daß neue Arten durch Bastardierung vorhandener entstehen können.
Eine erste systematische Analyse möglicher Bastardierungen nah verwandter Arten wurde von J. G. KÖLREUTER (1733-1806, dem Direktor der fürstlichen Hofgärten (ab 1763) und Professor der Naturgeschichte in Karlsruhe, durchgeführt. Er stellte einen Bastard aus den beiden Tabakarten Nicotiana rustica x Nicotiana paniculata her. Dieser war steril und stand in seinen Merkmalen zwischen beiden Elternarten. Er war demnach intermediär:
"Ich wurde mit vielem Vergnügen gewahr, daß sie (die Bastarde) nicht nur allein in der Ausbreitung der Äste, in der Lage und Farbe der Blumen überhaupt, gerade das Mittel zwischen beiden natürlichen Gattungen (Anm.: Arten) hielten, sondern daß auch bei ihnen insbesondere alle zur Blume gehörigen Teile, die Staubkölbchen allein ausgenommen, eine fast geometrische Proportion zeigten, ein Umstand, der durch die alte aristotelische Lehre von der Erzeugung durch beiderlei Samen vollkommen gerechtfertigt, und hingegen der Lehre von den Samentierchen, oder den in dem Eierstocke der Tiere und Pflanzen ursprünglich durch den männlichen Samen zu belebenden Embryonen und Keimen gänzlich widerspricht."
Mutter und Vater tragen demnach gleichmäßig und spezifisch zur Herstellung des Bastards bei. KÖLREUTER erzeugte auch Bastarde zwischen Arten aus den Gattungen Dianthus, Matthiola, Hyoscyamus, Verbascum, Hibiscus, Datura, Cucurbita, Aquilegia, Cheiranthus usw. Seine Untersuchungen ließen jedoch noch zahlreiche Fragen offen. Bastardierungen wurden im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert von vielen Züchtern mit wechselnden Erfolgen und nicht immer klar auswertbaren Ergebnissen bei einer Reihe mehr oder weniger nah miteinander verwandter Arten durchführt. Die Züchter verfolgten meist praktische Ziele. Sie waren beispielsweise an neuen Farben von Zierpflanzen interessiert, doch an den Ursachen, die einer Bastardierung zugrunde liegen, war ihnen weniger gelegen.
Eine kurze Mitteilung des französischen Naturforschers und praktischen Landwirts M. SAGERET (1763-1851) befaßte sich (1826) mit Bastardierungen in der Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae). Erstmalig in der Geschichte der Pflanzenhybriden wurden die Merkmale der Eltern in einander entgegengesetzten Paaren angeordnet. So fand er bei der Kreuzung zweier Melonenrassen der Art Cucumis melo L. die Aufspaltung verschiedener Merkmalspaare.
Melon cantaloup brode (weibl.) |
Melon chate (männl.) |
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1. | Fleisch gelb | Fleisch weiß |
2. | Samen weiß | Samen gelb |
2. | Schale mit Netz | Schale glatt |
4. | Rippen stark hervortretend | Rippen leicht angedeutet |
5. | Geschmack süß | Geschmack süß-sauer |
In Bastarden wurden die Eigenschaften nicht vermischt. Sie waren demnach nicht intermediär, sondern glichen eindeutig entweder dem einen oder dem anderen Elter. Das eine Merkmal war daher dominant über das andere, die Merkmale wurden unabhängig voneinander vererbt.
C. F. GAERTNER (1772-1850) aus Calw in Württemberg war der Preisträger einer von der Holländischen Akademie zu Haarlem initiierten Ausschreibung. Der Ausschreibungstext lautete: Was lehrt die Erfahrung hinsichtlich der Erzeugung neuer Arten und Abarten durch die künstliche Befruchtung von Blüten mit dem Pollen der anderen, und welche Nutz- und Zierpflanzen lassen sich in dieser Weise erzeugen und vervielfältigen?
Die 1837 eingereichte Arbeit mit dem Titel "Versuche und Beobachtungen über die Bastarderzeugung im Pflanzenreich" wurde (mit Ergänzungen) 1849 gedruckt. Sie war durch methodische Fortschritte gekennzeichnet, 9000 Versuche wurden ausgewertet, folgende Schlüsse wurden gezogen:
Eine genaue Bestimmung der Arten und ihre sorgfältige Aufzucht sind die Voraussetzung für alle Bastardierungsexperimente. Alle geernteten Früchte müssen gesondert aufbewahrt werden und alle Keimpflanzen müssen aufgezogen werden.
Bei gleichzeitiger Bestäubung mit gemischtem Pollen (mit eigenem und mit fremdem Pollen) tritt keine Vermischung der Merkmale in den Produkten ein. Es fand stets eine gleichmäßige Befruchtung durch eine der Pollenarten statt, nämlich durch diejenige mit dem höchsten Verwandtschaftsgrad zu den Ovarien (Eizellen). Sukzessiv gemischte Bestäubungen von Narbenhälften bei Nicotiana rustica mit Pollen von Nicotiana paniculata und Nicotiana rustica ergaben entweder reine Nicotiana rustica-Pflanzen oder echte rustica-paniculata-Bastarde. Jedes Pollenkorn wirkt also für sich und unabhängig von den anderen. Niemals kommt es zu einer Verschmelzung zweier oder mehrerer väterlicher Typen mit den mütterlichen, noch werden zwei Embryonen verschiedener Art aus einem Ei gebildet.
In Bestätigung der Untersuchungen KÖLREUTERs wird festgestellt, daß aus der Kreuzung reiner Species immer wieder die gleichen Bastardformen hervorgehen.
Bei einer einfachen Bastarderzeugung sind mütterliche und väterliche Faktoren zweier verschiedener Pflanzenarten tätig.
Bei der Bastarderzeugung modifizieren, vermischen und kreuzen sich die einzelnen Merkmale und heben sich zum Teil gegenseitig auf. Es besteht daher das allgemeine Gesetz der Bastarderzeugung sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren, daß die Charaktere der Stammeltern niemals rein und unverändert in die Bildung des Partners übergehen.
Es ist noch unbekannt, nach welchen Normen die Merkmale der Eltern in den Bastarden gemischt werden. Auch ist nicht bekannt, warum in einem Bastard mehr der ganze Habitus, in anderen nur einzelne Teile wie Blätter, Blumen, Früchte und Samen verändert werden. Die Bastarderzeugung ist also kein chemischer Prozeß, wie KÖLREUTER annahm, sondern ein der tierischen Zeugung analoger Vorgang, durch den bei beiden in den weiteren Generationen Varianten und Varietäten entstehen.
Die Bildung neuerer Formen aus Elementen und Merkmalen der Eltern nach Bastardierung ist für die Pflanzenphysiologie wie für die Systematik von gleicher Wichtigkeit. Für die Systematik entsteht aus den Bastardierungsversuchen die Frage, ob es stabile Arten gibt oder ob sie einer Veränderung oder Fortbildung in der Zeit unterworfen sind.
MENDEL kritisierte an GAERTNERs Arbeit, daß eingehende Beschreibungen der einzelnen Versuche fehlen, ausreichende Diagnosen für die verschiedenen Bastardformen nicht aufgenommen worden seien sowie alle Angaben über die Merkmale der Hybriden zu unbestimmt seien.
Ch. NAUDIN (1815-1899) war Preisträger der Pariser Akademie der Wissenschaften. 1861 erfolgte die folgende Aufgabenstellung: Das Studium der Pflanzenhybriden vom Gesichtspunkt ihrer Fruchtbarkeit und der Erhaltung oder Nichterhaltung ihrer Merkmale.
NAUDIN reichte seine Arbeit mit dem Titel "Neuere Untersuchungen über die Bastardierung bei den Pflanzen" im Jahre 1863 ein. Er arbeitete mit Bastarden von Arten, die den Gattungen Papaver, Mirabilis, Primula, Datura, Nicotiana, Petunia, Digitalis, Linaria, Ribes, Luffa, Coccinia und Cucumis angehörten. Seine Untersuchungen litten jedoch an zu geringem Material und ungünstigen äußeren Einflüssen (Frost, Dürre, Schädlinge). Es fehlte ihm außerdem an Raum, um sie in großem Umfang anzusetzen. Er erkannte die Aufspaltung der Bastarde in nachfolgenden Generationen, doch irgendwelche Zahlenverhältnisse sah er nicht. Er diskutierte die Frage, ob aus den Bastarden neue Arten entstehen können und kam zu dem Schluß, daß das nicht möglich sei. Er wies auf die Problematik des Artbegriffs hin und zitierte die Tatsache, daß natürliche Bastarde von Salix (Weide) und Rubus (Brombeere) immer wieder spalten und ihnen daher das wesentliche Merkmal einer Art, nämlich die Konstanz, fehlt.
Auf neuere Entwicklungen in der Landwirtschaft weisen die beiden folgenden Essays hin:
Saedler, Heinz: Pflanzengenetik in der Landwirtschaft - Fluch oder Segen? Saedler, Heinz: "Nationale und Internationale Trends in der Biotechnologie aus der Sicht der Wissenschaft"
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