Wenn man über die Entstehung neuer Arten sprechen möchte, muß man sich vergegenwärtigen, was der Begriff Art tatsächlich meint. Nicht jeder benutzt die gleichen Definitionen. In der Taxonomie arbeitet man meist mit dem phänätischen Artbegriff. Das heißt, man bildet Gruppen von Individuen, die untereinander in allen wesentlichen Merkmalen übereinstimmen, ein einheitliches Areal besiedeln, und durch klare Diskontinuitäten von ihren Nachbararten unterschieden sind. Trotz immer wiederkehrender Schwierigkeiten hat sich dieses Verfahren bewährt und bildet die Grundlage der Systematik der Pflanzen (und anderer Organismen) sowie der Bestandsaufnahme und Katalogisierung der Arten.
Unter dem Einfluß der Genetik wurde versucht, die Art als eine Fortpflanzungsgemeinschaft zu definieren, der solche Individuen angehören, die sich tatsächlich oder potentiell miteinander fortpflanzen. Vielfach besteht sie aus einer Anzahl von Populationen, die räumlich voneinander getrennt sein können. Eine Population aus uneingeschränkt untereinander fortpflanzungsfähigen Individuen nennt man eine panmiktische Population. Die Summe aller Gene (genauer gesagt Allele), die in einer panmiktischen Population durch Genaustausch (Panmixie) ständig neu kombiniert werden, bezeichnet man als Genpool.
Einzelne Arten sind in der Regel diskontinuierlich voneinander getrennt. Zwischen ihnen besteht eine Fortpflanzungsisolation; es gibt Barrieren, die einem interspezifischen (zwischenartlichen) Genaustausch entgegenstehen. Diesen fällt eine große Bedeutung für die Stabilisierung der Arten zu, sie reduzieren die Wahrscheinlichkeit der Vereinigung von Genomen verwandter Arten, denn normalerweise kooperieren solche Genome nicht reibungslos miteinander; der Fortpflanzungserfolg ist damit drastisch reduziert.
Der eben dargestellte populationsgenetische Ansatz der Artdefinition erwies sich für die Evolutionsforschung als brauchbar, obwohl auch gegen ihn gravierende Einwände erhoben werden können:
Viele Einzeller (und manche Mehrzeller) vermehren sich vornehmlich asexuell durch Teilung. Sexuelle Fortpflanzung kommt bei ihnen nur selten oder gar nicht vor (bzw. wurde nie nachgewiesen). Dennoch spricht man ganz selbstverständlich von Arten. Viele niedere und höhere Pflanzen vermehren sich vegetativ. Durch vegetative Vermehrung erzeugte Nachkommenschaft bezeichnet man als einen Klon. Genetisch sind alle Individuen (wenn man von Mutanten einmal absieht) untereinander gleich.
Gerade bei höheren Pflanzen gibt es innerhalb einer Art Fortpflanzungsbarrieren, die auf verschiedenen Mechanismen, z.B. Autogamie, Sterilitätsfaktoren, unterschiedlichem Ploidiegrad, oder mechanischen Barrieren wie Heterostylie beruhen können. Oft sind ökologische, lokale oder cytologische Rassen auf diese Art und Weise voneinander getrennt.
Wie das Beispiel der Allopolyploidie lehrt, ist es auch nicht richtig, daß es zwischen verwandten Arten keinerlei Kreuzbarkeit und keine fertilen Nachkommen geben kann. Solche Fälle sind zwar nicht sehr häufig, sie kommen aber vor und spielen, vor allem bei Angiospermen, eine entscheidende Rolle bei der Artbildung und der Eroberung neuer Lebensräume.
Interspezifische Fortpflanzungsbarrieren funktionieren nur unter bestimmten Bedingungen. Sie können unter andersartigen Lebensbedingungen zusammenbrechen. Als Folge davon können neue, in der neuen Umgebung vorteilhafte Genkombinationen zustande kommen.
Die vorgetragenen Argumente sprechen dafür, daß die Einheit "Art" als eine dynamische Größe zu betrachten ist und daß es trotz nachweisbarer Diskontinuität keine absolut sicheren Abgrenzungen zwischen verwandten Arten gibt.
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