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Bestätigung der Mendelschen Regeln; Widersprüche, Mutationen




Mit der Wiederentdeckung der MENDELschen Regeln setzte in vielen Ländern (Deutschland, Dänemark, England, Frankreich, Schweden, USA) eine Phase intensiver Forschung ein. Es galt, den Gültigkeitsbereich der Gesetzmäßigkeiten abzustecken und mögliche Abweichungen zu deuten. H. KAPPERT zählt in seinen 1978 herausgegebenen Lebenserinnerungen ("Vier Jahrzehnte miterlebte Genetik") vier Fragenkomplexe auf, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Kritik vieler Forscher standhalten mußten und andererseits Anregungen für neue Experimente boten:

  1. Berechtigen die Ergebnisse MENDELs und der Wiederentdecker zu den aus ihren Ergebnissen gezogenen Schlüssen bzw. zu einer so weitreichenden Verallgemeinerung, daß von Vererbungsgesetzen gesprochen werden kann? Ist vor allem die für die Erklärung der Spaltungsphänomene grundlegende Annahme von der Unveränderlichkeit der Erbanlagen im Bastard berechtigt?

  2. Erfolgt die Spaltung nach väterlichen und mütterlichen Eigenschaften tatsächlich stets in bestimmten Zahlenverhältnissen, die wieder die Bildung von Keimzellen mit väterlichen und mütterlichen Anlagen im Verhältnis 1:1 und ihre zufällige Kombination voraussetzen?

  3. Können überhaupt aus dem Verhalten von Bastarden zwischen Pflanzenrassen (oder -varietäten) ganz untergeordneten taxonomischen Ranges Schlüsse auf das Verhalten von Einheiten höheren Ranges wie von Arten und Gattungen gezogen werden? Ist vor allem eine Übertragung der bei Pflanzen gefundenen Verhältnisse auf Tier und Mensch möglich?

  4. Gelten die für die Übertragung von Farb- und Formenmerkmalen anscheinend zutreffenden Regeln auch für wichtige, das Leben der Organismen beeinflussende oder gar beherrschende Merkmale?

Im Jahre 1909 stellte der britische Genetiker W. BATESON eine (schon damals unvollständige) Liste von über 100 analysierten Beispielen aus dem Pflanzen- und Tierreich zusammen, aus der hervorging, daß die Vererbung der verschiedensten Merkmale den MENDELschen Regeln folgte, und daß sie daher als allgemeingültig anzusehen sind. Die Betrachtung der Details ergab jedoch eine Vielzahl scheinbarer und echter Abweichungen, für die sich erst im Verlauf der Zeit eindeutige Erklärungen finden ließen. Gleichzeitig eröffneten die Untersuchungen Wege zum Studium von Genwirkungen. Man begann zu lernen, welchen Einfluß ein Gen auf die Ausprägung eines Merkmals ausübt; daß ein Merkmal durch mehrere unabhängige Gene beeinflußbar ist, ein Gen mehrere Merkmale beeinflussen kann, und daß einzelne Gene im Verlauf der Entwicklung einer Pflanze (und eines Tieres) nacheinander zum Zuge kommen.

W. BATESON und der Däne W. JOHANNSEN prägten eine Anzahl von z.T. schon genannten Begriffen und schufen damit die Grundlage der modernen genetischen Terminologie. Die folgenden Begriffe und Begriffspaare sind für das Verständnis der Grundlagen der Vererbung unumgänglich. Daher vorab einige Kurzdefinitionen:

Gen: Merkmalsanlage (Grundeinheit der Vererbung), erkennbar durch das Vorhandensein unterschiedlicher Allele.
Allel: Zustandsform eines Gens. Ein haploider Organismus enthält nur eine Genkopie (= 1 Allel) pro Genort, ein diploider zwei; sind jene gleichartig, spricht man von Homozygotie (homozygot), sind sie verschieden, von Heterozygotie (heterozygot).
Genotyp: Spezifische Allelzusammensetzung einer Zelle; der Begriff bezieht sich entweder auf das gesamte Genom oder (weit öfter gebraucht) auf bestimmte Gene.
Genom: Gesamtheit aller Gene eines Individuums.
Genpool: Gesamtheit aller Gene (besser aller Allele) in einer Population.
Genmutation: Erbänderung, beruhend auf einer Strukturänderung in einem Gen.
Phänotyp: Erscheinungsbild eines Individuums aufgrund des Vorliegens eines bestimmten Genotyps und der Einwirkung von Umwelteinflüssen.
dominantes Allel: Allel, das in heterozygotem Zustand den Phänotyp determiniert.
rezessives Allel: Allel, dessen phänotypischer Effekt bei Heterozygoten nicht zur Geltung kommt.

© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de