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Selbstinkompatibilität (SI)


Eines der Ergebnisse der im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert zahlreich durchgeführten Bastardierungen ist die Beobachtung der Selbstinkompatibilität vieler Pflanzenarten, d.h., daß der Pollen einer Pflanze auf der Narbe des gleichen Individuums nicht auskeimt. Fremder Pollen (der gleichen Art) ist keimfähig. Die ausgedehnten Versuchsserien von C. DARWIN führten zu dem Schluß, daß hierdurch eine Fremdbefruchtung gesichert ist und daß Selbstinkompatibilität eine Voraussetzung zur Entstehung monözischer Pflanzen (das sind solche mit beiden Geschlechtern auf einem Individuum) gewesen sein muß. Selbstinkompatibilität ist ein Schutz vor Inzucht und der durch sie bedingten Homozygotie. Sie wirkt in der sogenannten progamen Entwicklungsphase - also noch vor der Befruchtung -, die Eizelle wird nicht beeinträchtigt; die Chance, von einem passenden Gameten befruchtet zu werden, bleibt voll erhalten.

Nach der Wiederentdeckung der MENDELschen Regeln und ihrer Etablierung, erschloß sich die Möglichkeit, nach genetischen Grundlagen der Selbstinkompatibilität zu suchen. Erste Arbeiten hierzu wurden von C. CORRENS (1913) durchgeführt. Den eigentlichen Durchbruch brachten aber E. M. EAST und A. J. MANGELSDORFs Untersuchungen an Nicotiana (1925)

Aus ihren Ergebnissen geht hervor, daß die Selbstinkompatibilität durch ein Gen (SI) hervorgerufen wird, das in zahlreichen Allelen vorliegen kann: SI1, SI2, SI3, SI4...SIn. Inkompatibilität tritt immer dann auf, wenn beide Kreuzungspartner gleiche Allele besitzen. Da der Pollen haploid ist (siehe oben), wird an seiner Oberfläche nur ein Allel exprimiert, vorausgesetzt, wir vernachlässigen die vom Tapetum aufgenommenen Komponenten. An der Stigmaoberfläche werden stets zwei Allele exprimiert. Anders ausgedrückt: Eine kompatible (legitime) Befruchtung kommt nur dann zustande, wenn das Allel des Pollens mit solchen Allelen zusammentrifft, die ihm unähnlich sind.

Der hier geschilderte Fall wird der gametophytischen Selbstinkompatibilität (GSI) zugeordnet. Ihr steht die sporophytische Selbstinkompatibilität (SSI) gegenüber, bei der die vom Tapetum gebildeten und von der Pollenexine übernommenen Komponenten für die Abstoßung des Pollens an der Narbe verantwortlich sind.

Nur selten ist bei GSI die Situation formal so einfach zu erklären wie bei der SI von Nicotiana (und etlichen anderen Solanaceen). A. LUNDQUIST (1956), und unabhängig von ihm D. L. HAYMAN (1956), fand bei Gramineen einen zweiten Selbstinkompatibilitätslocus (Z). Hier wird der Pollen nur dann abgestoßen, wenn gleiche Allele der beiden Loci in beiden Kreuzungspartnern enthalten sind. Derartige bifaktorielle Systeme wurden später in zahlreichen Angiospermenfamilien (Monokotyledonen und Dikotyledonen) gefunden. Schließlich fanden A. LUNDQUIST und Mitarbeiter auch Pflanzenarten mit drei oder noch mehr Inkompatibilitätsloci (Ranunculus acris 3, Beta vulgaris 4), und auch hier können an jedem Locus zahlreiche Allele vorliegen.

Das alles erschwert eine genetische Analyse, da man nicht alle Glieder der Kombinationsmatrix individuell identifizieren kann. Völlig unübersichtlich wird die Situation, wenn wir es von vornherein rnit Polyploidie zu tun haben. Die von LUNDQUIST vorgeschlagenen Modelle sind daher auch kürzlich in Frage gestellt worden (D. L. MULCAHY, G. BERGAMINI-MULCAHY, 1983). Durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung kann eine simple, doch weittragende Vorhersage gemacht werden: Die Häufigkeit nämlich, bei der Selbstinkompatibilität zum Tragen kommt, nimmt mit steigender Zahl der Genloci rapide ab.

Mehr-Gen-Systeme sind folglich schwächere Selbstinkompatibilitätssysteme als Ein-Gen-Systeme.

Im Verlauf der Angiospermenevolution lief der Trend offensichtlich zunächst in Richtung Monözie. Die dazu parallel laufende Vervollkommnung des SI-Systems bewirkte ihre Überlegenheit gegenüber der Diözie. Nachdem diese etabliert war und Polyploidisierungen sich durchsetzten, verlor das SI-System durch Zunahme an Komplexität ständig an Wert. Polyploide Arten können darauf verzichten; sie können zur Selbstbestäubung und Inzucht zurückkehren, die ihnen an gestörten Standorten einen nur schwer einholbaren Startvorsprung bieten.

BREWBAKERs Korrelationen. J. L. BREWBAKER (University of Hawaii) entdeckte 1957 einige bemerkenswerte Korrelationen zwischen SI-System und Pollenmerkmalen

Gametophytische Selbstinkompatibilität kommt fast immer bei zweikernigen Pollenkörnern vor. Die Narbe ist bei den entsprechenden Arten meist feucht.

Sporophytische Selbstinkompatibilität findet man bei dreikernigem Pollen. Dieser keimt unter in vitro-Bedingungen nur sehr schlecht; die Lebenserwartung ist kurz. Die zugehörigen Narben gelten als trocken.

BREWBAKER sah aber auch, daß diese Korrelationen nicht uneingeschränkt gelten und von einigen bemerkenswerten Fällen durchbrochen werden: So gelten sie z.B. nicht für die heteromorphe Selbstinkompatibilität. Das dazu gehörige Primula-Beispiel wurde bereits behandelt. Ferner haben sie keine Gültigkeit bei Gräsern. Diese zeichnen sich nämlich durch gametophytische Selbstinkompatibilität und dreikernige Pollen aus. Die Stigmen sind trocken, im Gegensatz zu denen der anderen Pflanzenfamilien aber stark behaart.


Molekulare Grundlagen der Selbstinkompatibilität und der Adhäsion des Pollens an die Narbenoberfläche

Glykoproteine sind wiederholt an Pollen- und Narbenoberflächen identifiziert worden. Bei Galanthus nivalis wird die Adhäsion der Pollen durch Zugabe von ConA drastisch reduziert, was wiederum ein Hinweis darauf ist, daß Lektin-Lektinrezeptor-Interaktionen an der Stabilisierung der Bindung zwischen den Zellen maßgeblich beteiligt sind.

Viel schwieriger ist der Mechanismus des SI-Systems zu deuten, denn im Gegensatz zu vielen anderen Systemen, wie der eben erwähnten Lektin-Lektinrezeptorreaktion, der Antigen-Antikörper-Reaktion oder der Enzym-Substrat-Wechselwirkung, haben wir es hier nicht mit einem Schlüssel-Schloß-Analogon zu tun, sondern mit einer Reaktion zwischen gleichartigen Komponenten. Einen Beweis dafür erbrachte H. F. LINSKENS (Botanisches Institut der Universität Nijmwegen, 1960), indem er Antikörper gegen SI-Antigene aus Pollen der Petunie erzeugte und zeigte, daß die gleichen antigenen Determinanten auch an der nichtkompatiblen Narbenoberfläche exponiert sind. Weitere Belege hierfür wurden von R. B. KNOX und Mitarbeitern erarbeitet. Die Proteine an der Narbenoberfläche unterliegen einem starken turn over. Nach Bindung eines Pollenkorns wird eine große Menge neuen Materials gebildet. Die Identität von Molekülen auf den Oberflächen der Reaktionspartner allein genügt nicht, um eine Unverträglichkeit zu erklären. Offensichtlich ist die Erkennungsreaktion nur ein Auslöser der eigentlichen Abwehrreaktion des Narbengewebes. Die Abstoßungsreaktion selbst kann direkt an der Narbenoberfläche erfolgen, sie kann aber auch erst im Transfusionsgewebe wirksam werden. In der Regel ist sie mit einer Überproduktion von Kallose durch das Narben- oder Griffelgewebe verbunden.

In den letzten Jahren sind die an der Selbstinkompatibilität beteiligte Gene und deren Genprodukte beim Tabak und der Petunie näher analysiert worden. A. CLARKE und Mitarbeiter, (University of Melbourne), klonierten zahlreiche SI-Allele und fanden, daß die gebildeten Glykoproteine eine RNase-Aktivität aufwiesen. In Pflanzen mit sporophytischer Selbstinkompatibilität, wie z. B. bei Brassica-Arten, treten ebenfalls Glykoproteine auf, doch fehlt ihnen eine solche Aktivität. Sie gehören auch nicht der gleichen Proteinfamilie an wie die SI-Allelprodukte der gametischen Selbstinkompatibilität. Welche Bedeutung der RNase-Aktivität zukommt, ist bislang noch unklar. Die analysierten Genprodukte kommen an den Narbenoberflächen in großen Mengen vor, sie wurden jedoch nicht an Pollenoberflächen gefunden. Das wirft ein Paradox auf, denn Selbstinkompatibilität beruht auf der gleichzeitigen Expression eines Genprodukts an den Oberflächen von Pollen und Narbe. Bei Pflanzen mit sporophytischer Selbstinkompatibilität wurden die entsprechenden Genprodukte auch in den Zellen des Tapetums identifiziert.

Inkongruenz. Das Überwinden der Selbstinkompatibilität allein reicht nicht, um einen Pollenschlauch in das Narben- und Griffelgewebe vortreiben zu können. An der Pollenschlauchoberfläche müssen zahlreiche Enzyme zur Auflösung des Transfusionsgewebes aktiviert werden, der orientierte Wachstumsprozeß muß in jedem Stadium auf das Einhalten der Richtung überprüft werden. Es bedarf einer koordinierten Reaktionsfolge zwischen Pollenschlauch und Griffelgewebe. Gerade bei Fremdpollen ist diese Koordination nicht gewährleistet; die Folge davon ist eine Abwehrreaktion, die als Inkongruenz bezeichnet wird. Die Barrieren beruhen meist auf dem Fehlen eines oder mehrerer Glieder in einer Kette von Ereignissen beim Zusammentreffen der beiden Zellarten. Bei Gymnospermen ist Selbstinkompatibilität nicht nachgewiesen worden, vermutlich weil sie keinen Griffel haben; Inkongruenz kommt dagegen vor.


Experimentelle Umgehung der progamen Befruchtungsbarrieren

Es gibt zwei Möglichkeiten:

  1. Die Narbe wird entfernt, der Pollen wird direkt auf das Transfusionsgewebe des Griffels gebracht. Hierdurch wird das SI-System ausgeschaltet (M. KROH, 1955).

  2. Man fusioniert Protoplasten der inkompatiblen Pflanzen miteinander und versucht, das Fusionsprodukt zur Regeneration zu bringen; das funktioniert z.B. nicht bei den meisten Monokotyledonen. Man benötigt für das skizzierte Experiment allerdings Protoplasten aus haploiden Pflanzen, und die sind auch nicht so leicht zu gewinnen, mehr dazu:


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de