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Hormone in Pflanzen


Mit den dargelegten Konzepten kommt man bei Pflanzen in Schwierigkeiten. Einmal, weil es im pflanzlichen Organismus kein so effizientes Stoff- und Informationstransportsystem wie den Blutkreislauf gibt, zum anderen, weil kein Hormon isoliert werden konnte, das allen genannten Kriterien gerecht wird, und drittens, weil es in Pflanzen kein zentrales Kontrollorgan gibt, das, wie das Zentralnervensystem der Tiere, sämtliche physiologischen Aktivitäten integriert und koordiniert.

Dennoch gibt es auch bei Pflanzen ein geregeltes Wachstum, klar determinierte Differenzierungsschritte, unterschiedliche Stoffumsatzraten in Zellen und - zumindest in Grenzen - eine Kommunikation der Zellen untereinander. Zwar stört dabei die Zellwand, doch ist sie in regelmäßigen Abständen durchbrochen, so daß ein Materialaustausch zwischen benachbarten Zellen gewährleistet ist.

Die Suche nach geeigneten Regulatormolekülen blieb nicht ohne Erfolg. Man kennt heute Effektoren, die mindestens sechs Molekülklassen zugeordnet werden können:

Auxine,
Cytokinine,
Gibbereline,
Abscisinsäure,
Jasmonate und
Äthylen / Ethylen.

Wenngleich gewisse klassische Definitionen nicht zutreffen, spricht man von pflanzlichen Hormonen oder Phytohormonen. Wer vorsichtiger sein möchte, kann auch von Wachstumsregulatoren sprechen. Wie dem auch sei, die Stoffe und eine Reihe ihrer Eigenschaften sind bekannt, und wir wissen, daß ohne sie kein geregeltes pflanzliches Wachstum stattfinden kann. Phytohormone sind ausnahmslos kleine Moleküle. Ihre Ausbreitung im Gewebe erfolgt von Zelle zu Zelle (z.B. beim Auxin), über Leitbündel (z.B. bei Cytokininen) oder über den interzellulären Gasraum (Interzellularen) (z.B. Äthylen).

Eine Anzahl von Befunden weist darauf hin, daß Phytohormone in Zellen eindringen und intrazellulär Vorgänge regulieren, doch weiß man so ziemlich gar nichts über ihre intrazelluläre Verteilung oder über den Transport von einem Kompartment ins andere. Es bleibt auch offen, ob sie (wie manche sekundären Pflanzenstoffe) in dem einen oder dem anderen Kompartment gespeichert werden und ob sie durch Freisetzung verfügbar und damit biologisch aktiv werden können.

Das Konzept des Second messengers schien für Pflanzenzellen nicht zu gelten; cAMP (zyclisches AMP) wurde zwar nachgewiesen, doch von wenigen Ausnahmen abgesehen weiß man nur wenig über seine Funktion. Um so deutlicher zeichnet es sich aber ab, daß Calciumionen dort diese Aufgabe wahrnehmen.

Es gilt die Regel, daß alle bekannten Phytohormone ein sehr breites und komplexes Wirkungsspektrum zeigen. Einige der Wirkungen treten im Experiment unmittelbar nach einer Hormonapplikation ein, andere erst Stunden später. Aus Befunden dieser Art hat man versucht, Rückschlüsse auf den Wirkungsmechanismus zu ziehen. Bei schnell wirkenden Reaktionen nimmt man an, daß Aktivitäten vorhandener Enzyme oder Membraneigenschaften verändert werden. Bei Wirkungen, die erst Stunden später sichtbar werden, liegt der Schluß nahe, daß die Genexpression (Transkription, Translation) betroffen ist. Doch in keinem Fall wurde eine lückenlose Beweiskette für die Wirkung eines Hormons auf molekularer Ebene erbracht.

Oft sieht es so aus, als würden Differenzierungsprozesse weniger durch eine einzelne Substanz als vielmehr durch ein komplex ausbalanciertes Gleichgewicht gleichzeitig anwesender Regulatormoleküle und externer Faktoren (Licht bestimmter Wellenlänge, Temperatur, Nährstoffangebot usw.) gesteuert. In einigen Fällen liegen Hinweise darauf vor, daß Hormone als Mittler zwischen einem externen Signal und einer physiologischen Aktivität (Antwort der Zelle) zwischengeschaltet sind. Phytohormone wirken teils synergistisch (gleichgerichtet), teils antagonistisch (einander entgegengesetzt).

Die Zahl unterschiedlicher Phytohormone ist im Vergleich zur Zahl der bei Tieren nachgewiesenen Hormone relativ niedrig. Andererseits weiß man, daß vor allem die makromolekularen Hormone tierischen Ursprungs nur über ein sehr eingeschränktes Wirkungsspektrum verfügen. Die Ursache hierfür ist in der Selektivität und der zell- und gewebespezifischen Verbreitung der zugehörigen Rezeptoren zu suchen, während die Rezeptoren für Phytohormone offensichtlich weit verbreitet sind und sich in den einzelnen Zelltypen oder Entwicklungsstadien vornehmlich durch ihre Affinitäten zum Hormon voneinander unterscheiden.

In der Phytohormonforschung hat man sich vornehmlich mit den Hormonen selbst, ihrer Synthese, ihrer Verteilung in Geweben, ihrer Verlagerung und ihren physiologischen Wirkungen befaßt. Den Rezeptoren hingegen wurde bislang recht wenig Beachtung geschenkt. Das führte allerdings dazu, daß manche der Beobachtungen konzeptionell nicht zu deuten waren, nicht unwidersprochen sind, nur für bestimmte Pflanzenarten gelten und nicht auf andere übertragbar sind.

So hat A. J. TREWAVAS (Department of Botany, University of Edinburgh) schon 1982, 1983 darauf hingewiesen, daß das Studium der Phytohormone allein nur wenig aussagekräftig ist und nur die eine Seite einer Münze beschreibt. Er räumt der Empfindlichkeit der Zellen gegenüber den Hormonen (und anderen Faktoren) eine weit höhere Bedeutung ein. Empfindlichkeit ist dabei als das Vorhandensein oder die Erreichbarkeit der einschlägigen Rezeptoren zu verstehen.

Etliche der Ungereimtheiten in der Literatur ließen sich eher verstehen, wenn man die Empfindlichkeitsschwellen der Zellen besser kennen würde als die Hormonkonzentrationen in den Zellen. Beides ist schwer zu messen, denn es gibt immer noch keinen biologischen Test, um die Wirkung eines zugeführten Hormons quantitativ zu erfassen oder den Schwellenwert zu bestimmen. In mehreren Fällen war, lange Zeit nachdem eine hormoninduzierte Aktivität ihr Maximum überschritten hatte, noch ein Anstieg der Hormonkonzentration zu verzeichnen, ohne daß sich die Zunahme physiologisch ausgewirkt hätte.

Viele der Dosis-Effekt-Kurven wurden mit Hormonkonzentrationen erzielt, die sich über vier bis fünf Größenordnungen erstreckten. Die in Zellen gemessenen Konzentrationsänderungen überschreiten aber nur selten das zwei- bis 10-fache der stets vorhandenen Menge.

Über Hormonkonzentrationen ließe sich keine Stabilität der pflanzlichen Entwicklung aufrechterhalten. Die Transportgeschwindigkeit im Leitbündelsystem ist von der Transpiration abhängig (Wasserangebot, Temperatur, artspezifische Unterschiede). Es ist ein gesteuerter Prozeß, nicht ein geregelter wie der Transport via Blutkreislauf der Tiere (Rückkopplung!). Die Hormonkonzentration in Leitbündelsystemen ist daher vom Angebot verschiedener Faktoren abhängig, ohne daß die Werte konstant gehalten werden können.

Trotz dieser Einschränkungen in der Aussagekraft der Ergebnisse ist das in den letzten Jahrzehnten angesammelte Wissen über Phytohormone ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Verständnis der pflanzlichen Entwicklung und ihrer Regulation. Chemisch sind die Phytohormone den sekundären Pflanzenstoffen zuzuordnen. Außer den fertigen Hormonen findet man in den Zellen Intermediär- und Abbauprodukte. Obwohl jene biologisch inaktiv zu sein scheinen, bleibt die Frage, ob sie nicht den Grad der Hormonwirkung modulieren können. Ebenso unklar ist, inwieweit andere Substanzen denen man bislang keine hormonspezifische Funktion zuschreiben konnte, wachstumsfördernd oder wachstumshemmend wirken. Mit dem Einsatz hochempfindlicher Trenn- und Nachweisverfahren, wie der Gaschromatographie, der HPLC (high pressure liquid chromatography), der Massenspektroskopie, dem Flammenionisationsdetektor, der Autoradiographie und dem Radioimmuntest trat die Hormonforschung in eine neue analytische Phase ein. Nahezu alle Untersuchungen sind an Angiospermen durchgeführt worden, und obwohl das eine oder das andere Hormon auch bei niederen Pflanzen (Moosen, Algen u. a.) nachgewiesen wurde, weiß man nur sehr wenig über hormonelle Wirkungen in z.B. primitiven ein- oder wenigzelligen Arten. Man sollte sich deshalb davor hüten, die an Angiospermen belegten Aussagen kritiklos auf niedere Pflanzen zu übertragen. Daraus folgt, daß wir auch nichts über die Evolution des Hormonsystems aussagen können. Wie wir nachfolgend noch sehen werden, wirken Hormone an Differenzierungsprozessen vielzelliger Gewebe mit. Bedeutet das, daß sie erst nach Entwicklung vielzelliger Pflanzen zur Wirkung kommen konnten, oder war es genau umgekehrt: waren ihr Vorhandensein und das Vorhandensein der entsprechenden Signalerkennungsvorrichtungen eine Voraussetzung zur Entstehung der Vielzelligkeit und von unterschiedlich differenzierten Geweben in Pflanzen? Substanzen, die den Phytohormonen ähneln, teilweise sogar mit ihnen identisch sind, wurden auch in Mikroorganismen und in Pilzen gefunden. Demnach scheint das genetische Potential zu ihrer Bildung sehr alt zu sein, doch das allein sagt noch nichts über die Wirkung dieser Substanzen.

Den Hormonen ähnliche Wirkungen zeigen zahlreiche synthetisch hergestellte Wachstumsregulatoren. Diese spielen in der modernen Landwirtschaft und im Gartenbau als Unkrautvertilgungsmittel oder Wachstumsstimulus eine entscheidende wirtschaftliche, wegen ihrer Gefährlichkeit und der Toxizität der im industriellen Herstellungsprozeß anfallenden Nebenprodukte (z.B. Dioxin) eine brisante politische Rolle.


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de