Während der fünfziger Jahre befaßte man sich eingehend mit dem Blatt- und Fruchtabfall (Abscission) und der Knospenruhe. Die Bemühungen führten zur Entdeckung eines Hormons, das die Bezeichnung Abscisinsäure erhielt. Es zeigte sich auch bei dieser Substanz, daß sie im Pflanzenreich weit verbreitet ist. Als geeignete Quelle erwiesen sich Baumwollfrüchte, aus denen ausreichende Mengen zur Aufklärung der chemischen Struktur isoliert wurden (F. F. ADDINCOTT und Mitarbeiter 1961, 1963, 1969, B. W. MILBORROW, 1967).
Die Abscisinsäure (ABA) ist mit einer Substanz identisch, die in verholzten mehrjährigen Pflanzen Knospenruhe bewirkt und daher zunächst als Dormin beschrieben wurde. In Ahorn- und Birkenknospen führt ein Wechsel von Langtag- zu Kurztagbedingungen zu einem merklichen Anstieg der Dormin- (=ABA)-Aktivität, mit der Folge, daß das Knospenwachstum zur Ruhe kommt.
ABA-enthaltende Extrakte aus Ahorn- und Birkenblättern, die unter Kurztagbedingungen aufwuchsen, hemmen das Blattwachstum und induzieren selbst in sich schnell entwickelnden Trieben die Ausbildung ruhender Knospen. Nachdem die Formel von ABA bekannt war, begann man mit der Herstellung einer Anzahl von Derivaten, von denen jedoch keines die Wirkung von ABA erreichte.
In manchen pflanzlichen Geweben (vornehmlich in jungen Trieben) kommt eine verwandte Form, das Xanthoxin vor.
Ob es ein Zwischenprodukt der ABA-Biosynthe3e oder ein eigenständiges Produkt ist, sei dahingestellt. Das Formelbild weist darauf hin, daß es sich bei der ABA (und dem Xanthoxin) um Terpenderivate handelt. Die Verifizierung dieser Annahme geschah durch den Nachweis des Einbaus radioaktiv markierter Mevalonsäure in ABA, womit jedoch noch nichts über die Intermediärprodukte gesagt ist. Zwei Alternativen der Biosynthese sind zur Diskussion gestellt worden:
- ABA ist ein Abbauprodukt von Xanthophyll (vor allem des Violaxanthins).
- ABA wird auf einem getrennten Weg aus einer C15 - Vorstufe gebildet und ist damit vom Carotinoid-/Xanthophyll-Stoffwechsel unabhängig.
Die erstere Vorstellung erschien anfangs plausibler, weil die Xanthophylle und das ABA strukturell weitgehend übereinstimmen. Unter in vitro-Bedingungen erfolgt eine Umwandlung jedoch nur bei starker Belichtung mit extrem schlechter Ausbeute. Diese, und ergänzende in vivo-Beobachtungen stellen die erste Annahme daher wieder in Frage.
Biologische Aktivitäten: Wie schon dargelegt, sind Wachstumshemmung und Aufrechterhaltung der Knospenruhe die auffälligsten Wirkungen von ABA. Doch ist die ABA-Aktivität alleine nicht ausreichend, um Knospenruhe langfristig zu gewährleisten. Nach dem Austreiben sinkt die ABA-Konzentration in den Knospen drastisch ab, wobei ungeklärt ist, ob der Abfall auf fehlendem Nachschub, forcierter Abbaurate oder Abwandlungen (z.B. Glykosylierungen) beruht. Umgekehrt steigt der ABA-Spiegel parallel zur Samen- und Fruchtbildung.
ABA ist ein effizienter Inhibitor der Samenkeimung, und in ruhenden Samen liegt er in hoher Konzentration vor. Wie bei austreibenden Knospen sinkt der Gehalt auch beim Auskeimen von Samen. Das weist darauf hin, daß der Keimungsprozeß durch ein Gleichgewicht zwischen Auxin(en), Gibberellin(en) und Cytokinin auf der einen Seite und ABA auf der anderen gesteuert wird. Weitgehend unklar ist die Funktion der ABA bei der Abscission (dem Abfall) von Blättern und Früchten. Obwohl in beiden Fällen ähnliche Mechanismen am Werk zu sein scheinen, wirkt ABA kaum auf die Abscission der Blätter, wohingegen ein deutlicher Effekt auf den Fruchtfall nachweisbar ist. Darüber hinaus konnte der Abscisinsäure ein regulierender Einfluß auf den Wasserhaushalt zugesprochen werden.
In abgeschnittenen Blattspreiten des Weizens steigt die ABA-Konzentration innerhalb von vier Stunden auf das 40fache, sobald die Wasserversorgung unterbrochen ist und der Turgor in den Zellen nachläßt. Vergleichbare Werte werden auch für andere Pflanzenarten angegeben, wobei die Effekte auch bei bewurzelten Sprossen nachgewiesen wurden. Ein Wasserverlust von 5-10 Prozent (des Frischgewichts) genügt zur Erhöhung des ABA-Spiegels. Der Anstieg beruht, wie B. W. MILBORROW zeigen konnte, auf Neusynthese und nicht auf Freisetzung aus einer inaktiven Form. Die ABA-Konzentration verbleibt selbst dann noch auf hohem Niveau, wenn sich die Situation für die Pflanze leicht bessert oder wesentlich verschlechtert. Sie bewirkt Schließung der Stomata (Schließzellen) und verhindert dadurch weiteren Wasserverlust.
Obwohl sich noch nicht viel über den Wirkungsmechanismus sagen läßt, scheint gesichert zu sein, daß ABA die Kalium-Ionen-Aufnahme der Schließzellen unterbindet. Kaliumionen ihrerseits sind für die Öffnungsmechanismen der Schließzellen essentiell (K. RASCHKE, 1975).
In einigen Geweben hebt ABA die Wirkung wachstumsfördernder Hormone (Auxin, Gibbereline, Cytokinin) auf. So unterbleibt z.B. nach ABA-Applikation die Synthese der Hydroxylasen in keimenden Gerstenkörnern.
Zusammenfassend läßt sich die Bedeutung der ABA-Wirkung vielleicht dahingehend interpretieren, daß es sich um einen Effektor handelt, der die Fähigkeit besitzt, bestimmte Teile des pflanzlichen Stoffwechsels vorübergehend stillzulegen. Da aber ABA ebenso leicht aus dem Gewebe zu entfernen ist, bleibt die Wirkung reversibel. Als Beispiel für diese Vorstellung mag die Hemmung der Samenkeimung in Beeren (z.B. in Tomaten) herangezogen werden. Obwohl sich die Samen in feuchter Umgebung befinden (im Tomatenmark), unterbleibt die Keimung. Isoliert man sie und bringt sie in ein normales feuchtes Milieu, keimen sie unverzüglich aus. Ein Versagen einer Keimungshemmung von Samen in einer Frucht führt in der Regel zu Viviparie.
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