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Ein Gen - ein Enzym - ein Reaktionsschritt


Die vorausgegangene Betrachtung der Aminosäuresynthesen sollte die Komplexität der Vorgänge, den Verzweigungsgrad und die Abhängigkeiten der einzelnen Komponenten voneinander veranschaulichen. An wenigen Beispielen wurde gezeigt, daß sich in der Evolution verschiedene alternative Wege entwickelt haben, von denen bei einer Gruppe von Organismen der eine, bei anderen der zweite (oder sogar dritte, vierte?) gewählt wird.

Es bedurfte eines riesigen Aufwands, die einzelnen Schritte experimentell nachzuweisen und das Auftreten gegebener Zwischenprodukte sicherzustellen. Das meiste von dem, was man heute über Aminosäurebiosynthesen weiß, beruht auf Untersuchungen an Mikroorganismen und tierischen Zellen. Es zeigte sich jedoch, daß eine Übertragung der Verhältnisse auf Pflanzenzellen im großen und ganzen zulässig ist, doch bleiben noch eine Reihe von Detailfragen offen.

Man sollte die Pflanzen hier nicht nur im Gegensatz zu Zellen von Mikroorganismen und Tieren sehen, sondern man muß damit rechnen, daß auch von Pflanzengruppe zu Pflanzengruppe Unterschiede auftreten können. Seit Anfang der vierziger Jahre, initiiert durch BEADLEs und TATUMs genetische Analyse von Neurospora crassa (einem Schimmelpilz), ist klar, daß ein Gen die Bildung eines Enzyms determiniert und daß dieses Enzym wiederum einen Reaktionsschritt im Stoffwechsel katalysiert. Der Einsatz von Mutanten mit Stoffwechseldefekten erwies sich als ein außerordentlich wichtiges Hilfsmittel zur Aufklärung einzelner Stoffwechselwege und als sicherer Nachweis der Bedeutung einzelner Intermediärprodukte.

Nachdem der Verlauf der Stoffwechselwege bei Mikroorganismen bekannt war und Verfahren ausgearbeitet waren, haploide pflanzliche Zellen (Protoplasten) nach dem Methodenrepertoire der Mikrobiologen zu kultivieren, begab man sich auf die Suche nach Mutanten mit Defekten im Stoffwechsel. So war man vor allem auch daran interessiert, solche mit Defekten in der Synthese bestimmter Aminosäuren zu gewinnen (=aminosäureauxotrophe Mutanten).

Die Ausbeute an Ergebnissen war enttäuschend. Es wurde - nach Behandlung der Protoplasten mit Mutagenen - keineswegs die Menge an Mutanten gefunden, die man, auf Erfahrungen aus der Mikrobiologie und den Arbeiten an tierischen Zellen aufbauend, erwartet hatte. Der Grund hierfür liegt wohl darin, daß sich pflanzliche Zellen bei einem (genetischen) Defekt in einer der Biosyntheseketten auf Alternativwege (Polyploidie) umstellen können und den Defekt damit praktisch umgehen; sicher sind solche Alternativen vom energetischen Standpunkt keineswegs gleichwertig, so daß der weniger günstige Weg nur dann eingeschlagen wird, wenn der effizientere ausfällt oder blockiert ist. Wie aufwendig Aminosäurebiosynthesen tatsächlich sind, erkennt man am eindrucksvollsten daran, daß viele Tiere (auch der Mensch) eine Anzahl von Aminosäuren gar nicht mehr bilden können. Die Fähigkeit dazu ging im Verlauf ihrer Evolution verloren. Tiere ernähren sich heterotroph und nehmen daher Aminosäuren (in Proteinen gebunden) mit der Nahrung auf. Normalerweise reicht das. Aminosäuren, die sie selbst nicht bilden können, werden als essentielle, die übrigen (einfacher strukturierten) als nicht essentielle eingestuft.

Pflanzen hingegen ernähren sich fast ausschließlich autotroph, d.h. sie bauen ihre organische Materie aus mineralischen Salzen, Kohlendioxyd und Wasser auf. Gerade deshalb haben Biosynthesewege des Primärstoffwechsels eine erhöhte Bedeutung, und daher scheint der Selektionsdruck, alternative Wege zu entwickeln, größer gewesen zu sein als bei Organismen, denen die Endprodukte mit der Nahrung geboten werden. Das pflanzliche Genom enthält offensichtlich mehr genetische Information, als in einer gegebenen Situation tatsächlich exprimiert wird.

Regulation von Aminosäuresynthesen. Bei der Besprechung der Enzyme wurde auf die Bedeutung der Allosterie und der Endprodukthemmung hingewiesen. Im Aminosäurestoffwechsel gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen diese Regelmechanismen zum Tragen kommen, bei denen also einzelne Wege reversibel stillgelegt werden, sobald in der Zelle genügend von dem benötigten Endprodukt gebildet worden ist.


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de