Artentstehung durch Artkreuzung (und nachfolgende Genomverdopplung) soll an nur wenigen von sehr vielen bekannten Beispielen erläutert werden:
Phleum pratense, das Wiesenlieschgras, ist eine häufige Art feuchter Wiesen; die Chromosomenzahl beträgt 2n = 42. J. W. GREGOR und F. W. SANSONE, 1930 und H. NORDENSKIÖLD, 1937, gelang es, diese natürlich vorkommende Art unter Laborbedingungen neu zu erzeugen. Sie kreuzten Phleum nodosum (2n = 14) mit Phleum alpinum (2n = 28). Der Hybrid erwies sich nach Genomverdopplung als voll fertil und entsprach in allen Eigenschaften Phleum pratense. Unabhängig von diesem Experiment erzeugte NORDENSKIÖLD (1949) Phleum pratense durch Autopolyploidisierung von Phleum nodosum. In dieser Art ist das Genom offensichtlich einfach, in Phleum alpinum doppelt, und in Phleum pratense dreifach enthalten. Was also zunächst wie ein allotetraploider (=amphidiploider) Bastard (Phleum nodosum x Phleum alpinum) aussah, erwies sich durch das zweite Experiment als ein autopolyploider.
Um 1870 trat auf Salzwiesen an der englischen Kanalküste eine neue Grasart auf: Spartina townsendii. Sie war größer als die dort heimische Spartina alternifolia. An der nordamerikanischen Ostküste kommt Spartina stricta vor. Sie wurde nach Europa eingeschleppt und besiedelte Spartina alternifolia-Standorte - und genau dort wurde auch die neue Art gefunden. Man vermutete nun, daß Spartina townsendii durch Bastardierung der beiden ursprünglichen Arten zustande gekommen ist. Die Indizien Spartina townsendii: 2n = 126 Chromosomen, Spartina alternifolia 2n = 70, Spartina stricta 2n = 56 sprechen dafür (C. L. HUSKINS, 1931).
Es wurde schon seit langem vermutet, daß die Kulturform des Tabaks (Nicotiana tabacum) mit 2n = 48 Chromosomen ein amphidiploider Bastard aus Nicotiana tomentosiformis (2n = 24) und Nicotiana sylvestris (2n = 24) sei. Der Verdacht erhärtete sich nach Analyse der entsprechenden Kreuzungsexperimente, denn bei Kreuzungen mit anderen Wildformen entstanden Kombinationen, die Nicotiana tabacum nur wenig ähnelten. Einen endgültigen Beweis erhielt man vor einigen Jahren, als man mit molekularbiologischen Methoden zeigen konnte, daß in Zellen von Nicotiana tabacum Gene aus Chloroplasten zum Zuge kommen, die genau denen aus Nicotiana sylvestris gleichen (CHEN et al., 1976). Damit war gleichzeitig gezeigt, daß der Bastardierung die Paarung (weiblich) Nicotiana sylvestris x (männlich) Nicotiana tomentosiformis zugrunde lag.
Im Jahre 1928 produzierte G. D. KARPETSCHENKO (Abt. f. Genetik des Instituts für Angewandte Botanik, Detskoje Selo bei St. Petersburg) eine neue Art unter Laborbedingungen: Raphanobrassica (2n = 36) aus Raphanus sativus (2n= 18, Rettich) und Brassisa oleracea (2n = 18, Gartenkohl). Der Bastard aus beiden Arten erwies sich zunächst als steril, und erst unter zahlreichen Ansätzen konnte ein fertiles Exemplar gefunden werden. Der Fertilität ging eine Chromosomenverdopplung voraus. Wir haben demnach die folgenden Kombinationen vor uns: 9 + 9 = 18 (steril) und 18 x 2 = 36 (fertil).
Artentstehungen durch Artkreuzungen haben sich in der Gattung Brassica auch unter natürlichen Bedingungen abgespielt. Die Analyse des Karyotyps mehrerer als verwandt angesehener Arten führte zu dem Schluß, daß je zwei von ihnen gemeinsame Genomanteile besitzen. Zusammenfassend ließen sich die Ergebnisse in einem Dreiecksschema (U-Schema) zusammenstellen, das die Verwandtschaftsbeziehungen anschaulich widerspiegelt.
In den zwanziger Jahren stellte der japanische Pflanzenzüchter H. KIHARA fest, daß das Genom des Kulturweizens (Triticum aestivum) aus mehreren Teilgenomen besteht und daß zumindest eines mit dem des Emmers (Triticum dicoccum), einer primitiven Kultursorte, übereinstimmte. In den vierziger Jahren wurde die Entstehungsgeschichte des Weizens von E. R. SEARS und H. KIHARA weitgehend geklärt. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Kulturweizen, von denen einige diploid, andere tetraploid, und weitere wiederum, wie Triticum aestivum, hexaploid (n=21) sind. Das Genom dieser Art besteht aus drei Teilen (A, B und D). A entspricht Triticum monococcum (n = 7), B konnte keiner Wildform sicher zugeschrieben werden. Kombinationen von A und B (n=14) findet man in einer ganzen Anzahl von Kulturformen, z.B. in Triticum dicoccoides, T. dicoccum, T. turgidum, T. persicum, T. polonicum und T. durum. D stammt aus T. tauschii (= Aegilops squarrosa) (n = 7). Zwischen A und B bestehen gewisse Ähnlichkeiten, doch überwiegen die Unterschiede, denn in Triticum aestivum findet man ausschließlich Bivalente, niemals Quadrivalente. Mit anderen Worten: A-Chromosomen paaren sich nur mit ihresgleichen, nie mit B, und für B (und D) gilt sinngemäß das gleiche.
Abbildungen von Triticum Arten - eingescannte Originale - © Herbarium Kurt Stüber
Diese Beispiele weisen auf die Bedeutung der Allopolyploidie für
die Artbildung hin. In einem Schema sind die
Beziehungen zwischen Autopolyploidie und Allopolyploidie wiedergegeben,
in einem weiteren wird gezeigt, wie die Entstehung
hoher Chromosomenzahlen gedeutet werden kann. Der Abschnitt
"Evolution"
behandelt weitere Fälle.
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