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Physiologie


Auch hier gab es wieder eine lange Vorgeschichte und einen langsamen Erkenntnisprozeß. Das Wissen im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts entsprach dem des Altertums. Dazu gehörte die Erkenntnis, daß die Wurzel nicht nur der Befestigung im Boden dient, sondern auch für die Nahrungsaufnahme benötigt wird, und daß bestimmte Düngemittel (z.B. Asche) die Vegetation kräftig fördern.

C. PERRAULT (1613-1688) stellte umfangreiche Beobachtungen über die Bewegung von Säften in Pflanzen an. Er glaubte, daß die "Gärung der Erdfeuchtigkeit" und die Wirkung der Säfte in der Wurzel Ursachen für das Aufsteigen der Säfte seien. Er meinte, daß Wärme entstehen würde und sich die Flüssigkeit daher ausdehnen müsse. Die absteigende Bewegung der Säfte versuchte er durch Wachstum der Wurzeln und eine Wechselwirkung zwischen Laub und Wurzeln zu erklären.

Der Prior des Klosters S. Martin Sous Traune E. MARIOTTE (1620-1684), erkannte 1679, daß die verschiedensten Pflanzen ihre Nahrung aus denselben Bestandteilen des Bodens ziehen und weit mehr Stoffe bilden können, als im Boden zu finden sind. Damit zusammenhängend erkannte er das Phänomen, daß derselbe aufsteigende Saft in einem wilden Birnbaum herbe und in einem darauf gepfropften edlen Reis wohlschmeckende Früchte ausbildet. Für eine jeweils bestimmte Pflanzenart wies er (durch Destillation) stets die gleichen Inhaltsstoffe nach. Damit demonstrierte er, daß es in Pflanzen eine Stoffumwandlung geben muß. Zur Untermauerung dieser Ansicht machte er folgende Rechnung auf:

"... Man kann 3000 oder 4000 verschiedene Pflanzenarten in 7-8 Pfund Erde kultivieren.... Wenn nun Säfte, Öle, Erden in jeder Pflanzenart verschieden sind, müßten alle diese in dem kleinen Quantum Erde und im Regenwasser enthalten sein, was offensichtlich unmöglich ist. Denn jede dieser Pflanzenarten würde im reifen Zustand wenigstens 1Gros fixiertes Salz und 2 Gros Erde enthalten, und alle diese Prinzipien zusammen mit denen, die im Wasser gelöst sind, würden wenigstens 2-3 Unzen wiegen. Das, multipliziert mit der Zahl von 4000 Pflanzenarten, würde ein Gewicht von 500 Pfund ergeben."

J. WOODWARD, Professor am Gresham College in London (1665-1728), stellte eine Pflanze in ein Gefäß mit Wasser und bedeckte dessen Oberfläche so, daß eine Verdunstung nur durch die Teile der Pflanze möglich war. Dabei fand er, daß die Pflanze im Zeitraum von drei Monaten sechsundvierzigmal soviel Wasser abgab, wie sie in sich selbst speichern konnte.

S. HALES (1677-1761) vervollkommnete solche Versuche und wies auf die Bedeutung der Hydrostatik zur Erklärung des Saftsteigens hin. Er ermittelte eine Beziehung zwischen der Größe des Saftdrucks und der Verdunstung. Als neuartiges Versuchsgerät führte er die Waage ein und stellte so die Verbindung zwischen Pflanzenphysiologie und Physik her. Durch Gewichtsvergleiche versuchte er die Zeit zwischen Wasseraufnahme und Wasserabgabe zu ermitteln und die Wandergeschwindigkeit des Wassers in der Pflanze zu errechnen.

Die Untersuchung einzelner Pflanzenstoffe, insbesondere der Säuren wurde durch den Schweden C. W. SCHEELE (1742-1786) von 1770 ab und durch den Franzosen VANQUELIN gegen Ende des Jahrhunderts gefördert. Die Wein-, Zitronen-, Äpfel-, Oxal-, Gallen-, Chinasäure u.a. wurden durch sie bekannt. A. S. MARKGRAF aus Berlin (1709-1782) und DUHAMEL du MONCEAU analysierten Pflanzenasche und identifizierten darin eine Anzahl von Salzen. MARKGRAF ist auch der Entdecker des Rohrzuckers in Zuckerrüben und der erste, der das Mikroskop als Hilfsmittel der analytischen Chemie einsetzte (Nachweis von Zuckerkristallen in getrockneten Wurzelschnitten).

S. Fr. HERMSTAEDT (1760-1833 / Berlin) führte die chemische Analyse zur Charakterisierung von Nutzpflanzen ein. Er machte auf die Erscheinungen der Gärung und Verwesung aufmerksam. Der Schwede J. J. BERZELIUS (1779-1848) konnte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits 40 voneinander verschiedene aus Pflanzen isolierte organische Verbindungen auflisten.

1838 stellte die Göttinger Akademie der Wissenschaften die Preisfrage: ... ob die sogenannten unorganischen Elemente, die in der Asche der Pflanzen gefunden werden, auch dann in den Pflanzen zu finden seien, wenn sie denselben nicht von außen angeboten werden, und ob jene Elemente so wesentliche Bestandteile des vegetabilischen Organismus seien, daß dieser sie zu seiner völligen Ausbildung durchaus bedarf. Gewinner des Preisausschreibens (1840) war der Gießener Chemiker JUSTUS v. LIEBIG (1803-1873) mit seiner Arbeit "Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie". Ihm gebührt Anerkennung für die zielstrebige Anwendung chemischer Methoden zur Klärung von Fragen der Pflanzenernährung. Er untersuchte die Beziehung zwischen den Erträgen von Feldpflanzen zu der Menge des zugeführten Düngers. Er erkannte die Bedeutung der mineralischen Bestandteile, die von der Verwesung von Pflanzen- und Tierresten herrühren. Er untersuchte, welche Bestandteile und in welchen Mengen dem Boden durch die Ernte entzogen werden, und kam zu dem Schluß, daß die Pflanzen ihre wesentlichen Bestandteile (C, H, O und N) in ihrer Umgebung im Überfluß finden, so daß die Zuführung dieser Stoffe durch Düngung überflüssig sei. Ergänzt wurden LIEBIGs Feststellungen durch KARL SPRENGELs Untersuchungen über Erträge und Ernährung von Nutzpflanzen. Er erbrachte den Beweis, daß bestimmte, wenn auch äußerst geringe Mengen mineralischer Bestandteile für das Leben und Gedeihen von Pflanzen ebenso wichtig sind wie die bisher im Dünger besonders geschätzten und oft im Übermaß zugeführten Stoffe.

Ab der Mitte des Jahrhunderts wurde die Forschung, vor allem im Hinblick auf ihre Anwendung und aus kommerziellem Interesse, in immer stärkerem Maße gefördert. Eigenständige Forschungsstationen wurden begründet, zunächst oft privat, später im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert durch den Staat und die Industrie gefördert und finanziert. In Rothamsted bei London initiierte der Gutsbesitzer LAWES eine mit großem Geldaufwand und umfangreichen Ländereien ausgestattete Forschungsstelle. Sie gehört auch heute noch zu den herausragenden international anerkannten landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen: Rothamsted Experimental Station.

Auch in Deutschland entstanden an einigen Stellen vergleichbare Institute. Man begann, sich für die Bedeutung der "Proteinsubstanz" der Pflanzen für die menschliche Ernährung zu interessieren, und fand, daß Stickstoff für ihren Aufbau benötigt wird, wohingegen stärkehaltige Stoffe (Kohlenhydrate) stickstoffrei waren. Es wurden Verfahren entwickelt, um die Menge gelöster und nicht löslicher Kohlenhydrate und, unabhängig davon, den Gehalt der Pflanzen an Zucker und Fett zu bestimmen.


© Peter v. Sengbusch - b-online@botanik.uni-hamburg.de